Sonntag, 28. Juni 2015

Tabuworte

Seit mehreren Monaten liebt es unsere Tochter die Worte Penis, Scheide, Po (oder Arsch) und A-a zu sagen, ganz unabhängig von Ort, Situation oder Anlass.
Das ging uns dann irgendwann (vor allem als Mister M. anfing ihr mehr nachzuplappern) so auf die Nerven, dass wir sie immer wieder darauf hingewiesen hatten, dies in unserer Anwesenheit zu unterlassen, da wir es nicht schön finden, wenn sie es ständig sagt.
Natürlich konnte sie weiterhin nicht damit aufhören, so dass wir manchmal auch mal lauter wurden und sie ermahnten.
Wir konnten uns nicht vorstellen, dass sie das Thema so lange beschäftigt und vermuteten, dass sie die Worte nur benutzte, weil wir sie tabuisierten und sie uns aus Spaß an der Freude damit aufzog.
Wenn wir sie fragten, warum sie das unbedingt beim Abendessen oder gerade beim Toben sagen muss, konnte sie uns keine Antwort geben. Aber das verlangen die Tabuworte immer und immer wieder zu benutzen war stärker als das Bewusstsein es zu unterlassen.
Seit Mister M. ihr auch noch nachplappert scheint es noch mehr Spaß zu machen und die beiden können sich dann sehr gut gegenseitig hochschaukeln.
Letztens sagte der kleine Mann aus heiterem Himmel zu mir Penis A-a. Ich fand es in dem Moment nur amüsant, da er sicherlich nicht wusste, was es bedeutet, aber auch sehr kreativ war. Auch wenn es nicht gerade die Worte war, die ich für seine kreative Ader bevorzuge.
Aber anders herum sollten wir uns fragen, warum wir zwar wollen, dass die Kinder die Worte kennen, aber nicht benutzen sollen.
Abgesehen davon, dass fäkalische Themen beim Essen nicht gerade appetitlich sind, sollten die Kinder doch ganz neutral zu diesen Tabuworten stehen. Doch wenn wir sie auf die Tabuliste stellen, bekommen sie einen ganz anderen Stellenwert.
Ich hatte gestern dazu einen ganz interessanten Ansatz von einer Erzieherin gelesen. Das Buch heißt "Müssen wir schon wieder machen was wir wollen" von Anna Grammah und erzählt sehr humoristisch den Alltag im Kindergarten.
Das Buch fängt bereits in den ersten Seiten etwas provokant an und lädt dadurch umso mehr zum weiter lesen ein.
">Penis, Scheide, After, Vulva< wiederhole ich nun mit gemäßigter Stimme, >finden Sie, dass Ihre Kinder diese Wörter kennen sollten? Wir schon. Und damit begrüße ich Sie zu unserem heutigen Informationsabend. Dass Kinder diese Worte genauso natürlich aussprechen können wie Messer, Tasse und Teddybär, ist für uns eine wichtige Bedingung, um sexuellem Missbrauch vorzubeugen, und mit diesem Thema will ich heute starten. Denn natürlich wollen sich Kinder in der Phase der Geschlechterfindung ansehen, vergleichen, berühren und riechen. Wer dies verbietet, bereitet jedem Kinderschänder den wunderbaren Nährboden des Nicht-darüber-reden-Dürfens.<"
Ich muss zugeben, daran hatte ich gar nicht gedacht, als ich anfing ihr den Mund zu verbieten. Dabei dachte ich so oft darüber nach, wie ich sie davor schützen könnte und vor allem, wie sie sich selbst davor schützen kann. Dass unser Verbot sie daran hindern könnte sich uns anzuvertrauen und offen über sexuelle Themen zu sprechen, machte mich etwas sprachlos.
Ich zeigte es sofort meinem Mann und wir entschlossen uns, die Worte nicht mehr zu tabuisieren, aber dennoch den Gebrauch situationbedingt einzuschränken.

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